Ein Schellenberger am Nordpol

Vor 127 Jahren starb der Gefreite Roderich Schneider aus Dorfschellenberg bei einer Nordpolexpedition

Am 18. Juni 2011 jährt sich zum 127. Mal der Todestag eines in Dorfschellenberg geborenen Mannes, den man nicht so leicht wieder vergessen sollte.

Robert Roderich Schneider

wurde in Dorfschellenberg am 29. Juni 18:53 Uhr geboren. Sein Vater war Herr Friedrich Alfred Schneider ‚Bürger und Kaufmann zu Chemnitz’ und gleichzeitig Compagnon der Baumwollspinnerei von Trübenbach & Schneider in Dorfschellenberg. Seine Mutter Amalie Agnes geb. Dietrich stammte ebenfalls aus Chemnitz. Robert Roderich war das 5. Kind der beiden. Er wurde am 21. August des gleichen Jahres in der Kirche zu Dorfschellenberg von damaligen Dorfschellenberger Pfarrer Eduard Ludwig getauft. Die Taufpaten waren unter anderem Herr Christian Gottlieb Matthes, Baumwollspinnereibesitzer aus Leubsdorf und Frau Marie Hauschild, die Gattin von Maximilian Hauschild, Besitzer der Baumwollspinnerei in Hohenfichte. Alfred Schneider gründete gemeinsam mit Wilhelm Trübenbach im Jahre 1837 die o. g. Spinnerei in Dorfschellenberg. Nach Ausscheiden Schneiders aus der Firma zogen sie zurück nach Chemnitz.

Am 2. August des Jahres 1884 bewegte eine Todesanzeige im Chemnitzer Tageblatt viele Bürger. Da stand:

„Als Mitglied der amerikanischen Nordpolexpedition fand am 18. Juni a.c., beinahe 31 Jahre alt einen schweren Tod am Cap Sabine, Grant Land, unser Sohn Roderich Schneider. Um stille Teilnahme bitten Alfred Schneider und Frau.”

Der Verstorbene wurde von New York nach Chemnitz überführt und auf dem Neuen Städtischen Friedhof in Chemnitz beigesetzt. Die Grabstätte besteht noch heute.

Auf dem Gedenkstein (http://www.fbb-chemnitz.de/aktuell/denk_8.php) steht:

„Ein wackrer Seemann ruht in heimatlicher Erde/ Hier aus von hartem Kampf, von Mühsal und Beschwerde. Den Süden sah er, wo die Palmen wehn. Er sah das ewig eisbedeckte Meer im Norden; Einmal gerettet schon vom Untergehn, ist nun beschworner Pflicht zum Opfer er geworden.”

Was war geschehen?

Roderich wanderte als junger Mann vermutlich aus Abenteuerlust nach Amerika aus. Bereits im Jahre 1878 überlebte er auf einer Reise bereits den Untergang des Passagierschiffes ‚Pommerania’. In Amerika ging er dann zum Militär, und meldete sich als Angehöriger der 1. Artillerie-Einheit der US-Armee zur Teilnahme an der sogenannten ‚Greely-Expedition’. Diese Expedition startete im Juli 1881 in Richtung Nordpol. Sie sollte zu Ehren Amerikas so weit wie nur irgendwie möglich nach Norden vordringen und dort für 2 Jahre eine Forschungsstation betreiben. Sie stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Als Leiter der Expedition wurde Leutnant Greely, ein Offizier der Nachrichtentruppe, vorgesehen. Er war kein Kenner der Arktis und musste sich alles erst anlesen. Ebenfalls wurde die Vorbereitung und Ausführung von allerhöchster Stelle (auch vom damaligen US-Präsidenten) immer wieder hintertrieben. Sie bekamen nur mäßig see- und arktistüchtige Schiffe gestellt. Als die Expedition gestartet war, sollten für den notwendigen Nachschub an Nahrungsmitteln in den Sommern 1882 und 1883 Versorgungsschiffe sorgen. Doch sie kommen am vereinbarten Ziel nicht an. Um nicht im Eis einzufrieren, müssen die Kommandanten dieser Schiffe auf Grund des schlechten Wetters wieder umkehren. Obwohl vereinbart, hinterlassen sie nicht einmal Depots mit der nötigen Verpflegung, da sie der Meinung waren, so hoch im Norden gäbe es genug Wild (Robben, Seekühe usw.)

Da kein Nahrungsnachschub in Sicht war und um das Überleben der 24 Männer zu sichern, brach Greely mit seinen Männern zu einem äußerst gefahrvollen Marsch in Richtung Süden kreuz und quer über das Packeis nach Cap Sabine auf. Anfangs kamen sie ganz gut voran, denn sie hatten ja etliche Schlittenhunde, welche die Schlitten zogen. Sie mussten viele viele Kilometer durch die feindliche unwirtliche Landschaft, in der schreckliche Schneestürme tobten, mit ihren einfachen Schlitten ziehen. Damals waren sie noch wohlgemut. Unterwegs konnten sie auch wirklich noch Robben für ihre und der Hunde Ernährung erlegen und zubereiten. Als Koch fungierte dabei unter anderem auch unser Roderich Schneider. Aber zunehmend kamen zwischen den Kameraden Streitereien und Sticheleien auf. Sie wurden auch vom Expeditionsleiter Greely nicht eingedämmt, im Gegenteil, er wirkte in den Streitereien eifrig mit und spielte die einzelnen Leute noch gegeneinander aus, z. B. den Arzt und auch seinem Stellvertreter misstraute er permanent.

Auch im Festlegen der Marschroute nach Süden lies er keine andere Meinung als seine zu, auch wenn sie sich als total falsch erwies.

Nach vielen, vielen langen Märschen in eisiger Kälte und arktischen Stürmen um die 40 - 50 Grad Minus erreichten sie das Cap Sabine. Bei ihrem Marsch von Fort Conger (ca. 600 Meilen vor dem Nordpol) nach Cap Sabine legten sie ca. 500 Meilen zurück und benötigten dafür ca. 3 Monate. Die Nahrung wurde immer einseitiger und geringer, auch für die Hunde war nicht mehr genug da. Diese treuen Tiere mussten als erstes daran glauben und für die menschliche Ernährung herhalten. Doch auch der „Hundevorrat” war bald verbraucht, Mangelerscheinungen traten immer mehr auf. Sie wurden immer schwächer. Einige konnten sich kaum noch bewegen. Es waren bereits erste Todesfälle zu verzeichnen. Die Leute beschuldigten sich auch gegenseitig, Nahrungsmittel anderer zu stehlen und für sich zu verbrauchen. Auch Roderich Schneider wurde aus diesem Grunde aus der ‚Küche’ verbannt. Ein Expeditionsmitglied wurde sogar aus diesem Grunde erschossen. Der Hunger nahm zu. Teilweise ‚aßen’ sie sogar ihre eigenen Lederschuhe auf, weil sie nicht mehr in der Lage waren, sich selbst Nahrung zu besorgen. Jeden Tag lagen andere Expeditionsmitglieder erfroren und verhungert in ihren dünnen Zelten und mussten von der dezimierten halb verhungerten Mannschaft ‚beerdigt’ werden. Da die Kräfte immer mehr nachließen, konnten auch die Toten nur noch notdürftig mit Steinen bedeckt werden. Dabei soll es auch angeblich zu Kannibalismus gekommen sein.

Der amerikanische Schriftsteller und Historiker Leonard F. Guttrigde hat in seinem Buch ‚Die Geister von Cap Sabine‚ die gesamte Entwicklungsgeschichte dieser Expedition aufgearbeitet und beschrieben. Der Untertitel dieses Buches lautet ‚Die schreckliche Wahrheit der Greely - Expedition’. Roderich Schneider führte während der gesamten Zeit ein Tagebuch. Dieses Tagebuch fand der Befreiungstrupp, der viel zu spät Cap Sabine erreichte, da die meisten Expeditionsteilnehmer nicht überlebt hatten.

Roderich Schneider war zu diesem Zeitpunkt bereits 4 Tage tot. Im Jahre 1885 wurde das Tagebuch in der The New York Times veröffentlicht. Er führte das Tagebuch bis zum 17. Juni 1884, einen Tag vor seinem Tode.

    Schneider beschreibt jeden Tag genau, z.b.:

  • 10. Mai 1884: Der Eintopf war gut heute morgen - 2 Unzen Pemmikan (Mischung aus Dörrfleisch, - fisch und Fett), 2 Unzen frisches Fleisch, 1 Unze Talg und 4 Unzen Tran. ( 1 Unze = 23,35 Gramm). Nur noch 2 Tagesvorräte sind im Lager aber wir sind guter Stimmung. Um 2 Uhr wurden die letzten Vorräte verteilt. Es wurde jedem überlassen, was er mit ihnen anstellt.
  • 14. Mai: ich fühlte mich heute etwas besser und ging nach draußen, habe heute mein Testament aufgesetzt. Die Männer sterben nach und nach.
  • 15.Mai: Ich fühlte mich heute sehr schwach. Oh, es ist so schrecklich, 18 Männern beim langsamen Sterben zuzusehen! Nur der bloße Krabbeneintopf hält uns am Leben. Alle sehen dem Tod stolz ins Gesicht.
  • 17. Mai: Heute gab es den letzten Alkohohl.
  • 23. Mai: 10 Pfund Krabben, die auf 2 Eintöpfe aufgeteilt werden, sehr mager, einer war kaum in der Lage diesen Eintopf zu essen.
  • 24. Mai: Whistler stirbt um 12:45 Uhr, Ralston wurde früh am Morgen ‚beerdigt’. Schnee dringt in die Schlafsäcke.
  • 27. Mai: Israel stirbt um 2 Uhr, er kämpft sehr lange, alle von uns sind extrem schwach, Robbenhaut-Schuhe werden gegessen.
  • 4. Juni: Es ist ein Wunder, wie wir von dem wenigen Essen überleben können, einer hat Renntiermoos gefunden und mit im Essen verarbeitet.
  • Schneiders letzte Eintragungen: Der letzte Tee für das Frühstück, der Schlafsack wird geröstet und gekocht, fürs Abendessen nicht einmal mehr heißes Wasser. Ich bin nur noch in der Lage Tagebuch zu führen. Jeder wird schwächer, ich kann meine Beine nicht mehr bewegen.

Sergeant Brainard, ein Expeditionsmitglied, schrieb am 17. Juni: „Schneider scheint vollkommen hilflos und seine Worte zeugen von großer mentaler Müdigkeit.” Am 18. Juni 1884 schrieb Brainard: Nachdem er sein ‚Frühstück’ zu sich genommen hatte, wurde Schneider bewusstlos und um 18:00 Uhr starb er. Schneiders Tod war verursacht durch „Verzweiflung und beginnender Skorbut”.

Erzählt in einem Tagebuch aus der Antarktis Ein Zeitungsausschnitt aus der „The New York Times” berichtet über Leiden und Dauer der Expedition.

Roderich Schneider wurde von seinen Kameraden als ein freundlicher und fröhlicher Kamerad beschrieben. Er erschien als einfacher aber intelligenter gutbürgerlicher Deutscher. Anfangs war er für das Betreuen der Hunde zuständig, später wurde er auch als Schreiber und Koch eingesetzt.

Schneiders Dienstgrad in der US-Armee lautete Private - es wird meist mit Gefreiter übersetzt, im Deutschen würde man salopp sagen: Schütze A...... Sein Vorname wurde mit Roderick amerikanisiert.

Die Expedition begann mit 24 Teilnehmern, am Ende waren es nur noch 6 Überlebende.


Links zur Expedition:

http://de.wikipedia.org/wiki/Adolphus_Greely
http://www.arcticwebsite.com/greely1881expedition.html

Diese Dokumente sind von Herrn Detlef Biermann. Wir möchten uns ganz herzlich bei ihm dafür bedanken.
Kontakt: detlef.biermann41@googlemail.com


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