Am Höllberg in Schellenberg konnte man zur Weihnachtszeit direkt zum Weihnachtsmann gelangen. Man musste nur 10 Stufen von der Straße hochsteigen und dann die Ladentür öffnen, dann war man im Ka-Ha-Vau- Geschäft von Herbert Flade.
Gegründet wurde das Geschäft im Jahre 1880 von Oscar Alexander Rümmler. Als dieser den Laden aufgab, wurde er von Max Flade übernommen. Nach dessen Ableben führte dessen Ehefrau Emilie mit Sohn Herbert das Geschäft weiter. Bis zum Jahre 1970 betrieben die Eheleute Herbert und Gertrud (genannt Trudel) mit ihrer Tochter Edith das Geschäft. Sie gaben es aus Altersgründen auf. Einen Nachfolger konnte man nicht finden. So stand es lange Zeit lehr, bis es eine Kaufhauskette es als Lagerraum nutzte. Heute führt Frau Ruth Walther-Otto ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen.
In den 20-er Jahren gehörte zu dem Geschäft noch eine Tankstelle dazu. Aus nah und fern kamen damals die Kraftwagen, auch landwirtschaftliche Fahrzeuge gehörten dazu. Als Tankwart fungierte der Ladeninhaber Herbert Flade selbst.
Die Ladentreppe lag direkt an der Straße, an ihr waren links und rechts zwei Keller angebaut. Im linken Keller lagerten Sauerkraut, Gurken und anderes „vom Fass” und im rechten befand sich Petroleum und ähnliche Artikel. Auf dem stabilen Kellerdach konnte man bequem hin und her spazieren und die Auslagen in den vier Schaufenstern betrachten. Zur Sommerzeit konnte man dort alle Haushaltwaren sehen, die es im Laden zu kaufen gab: Töpfe, Gläser, Tassen und vieles andere mehr. Auf der Außenfläche standen dann noch Zinkbadewannen, Waschzuber, Leitern, Handwagen, Besen, Schaufeln und was sonst noch alles. Jedoch zur Weihnachtszeit standen in großer Anzahl Kinder davor mit großen leuchtenden Augen und schauten in die festlich geschmückten Fenster. Was gab es da nicht alles zu sehen: Pferdewagen, Holzeisenbahnen, allerlei hölzernes Getier für den einzurichtenden Bauernhof, Bastelwerkzeug und Laubsägekästen, große und kleine Lichterhäuser für die Jungen.
Die Mädchen kamen ja auch nicht zu kurz: weiße und schwarze Puppen mit blonden und schwarzen Haaren, Puppenhäuser und kompletten Puppenhauseinrichtungen, wie Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Puppenwagen und alles was eine Puppenmutti so braucht. So mancher Wunsch wurde da bei den Buben und Mädchen wach und wurde auf den Wunschzettel geschrieben.
Dann ging es in den Laden, wo es noch viel mehr zu sehen gab.Schon die große Ladentheke allein war schon etwas Besonderes, sie bestand aus Holz und obendrauf waren da einzelne Glasfächer und Schütten mit den verschiedensten Sachen drin: Zucker, Mehl, Gries, Salz, Nudeln, Hülsenfrüchte, Kaffee usw. Damals gab es fast keine abgepackte Ware, alles musste von Hand eingetütet und abgewogen werden. Auf dem Ladentisch standen große Gläser mit bunten Bonbons darin. Das zog die ganze Aufmerksamkeit von uns Kindern an. Wir fieberten, dass unsere Mutter endlich ihren Einkauf beendete, Aber das konnte lange dauern, was die Mutter alles brauchte: Mehl, Zucker, Salz, gesalzene Heringe, Sauerkraut, Milch. Diese wurde in mitgebrachten Kannen aus Aluminium abgefüllt und ich durfte sie tragen - ein großer Vertrauensbeweis! Aber es ging weiter, für Vater Zigaretten, Marke „Turf” die waren billig und sie wurden aus Sparsamkeit noch geteilt. Bier durfte auch nicht fehlen. Eine neue Tischdecke für die Feiertage musste auch noch gekauft werden, denn wenn die Verwandtschaft anrückte, durften meine Muckefuck - Flecke vom Vorjahr nicht gezeigt werden.
War sie nun endlich fertig? Ich guckte sie an und deutete auf die großen bunten Gläser - nun ja 100 Gramm wurden mir zugebilligt. „Ach, Frau Flade, was ich mit Ihnen noch bereden wollte ...” und dann wurde getuschelt. Da wusste ich, da wurde irgendwas ausgehandelt und ich verdrückte mich in den hinteren Teil des Ladens. Dort war der Weihnachtsmann zu Hause. Bunte Christbaumkugeln, Lametta, Sterne und Glitzerzeug. Engel, Bergmann, Pyramiden in allen Größen. Puppen, große und kleine, blonde, braune und schwarze, manche mit Stimme (die waren teuer) und auch ohne Stimme. Holzeisenbahnen, Pferdegeschirre mit und ohne Ladung. Puppenstuben, den kleinen Mädchen schlugen die Herzen höher. Was man vor den Ladenfenstern gesehen hatte, war alles vergessen. Hier war alles viel näher, größer und schöner. Der Wunschzettel bekam eine ganz neue Fassung.
Die Jungens himmelten die Pferdegeschirre und Eisenbahnen an, es gab auch kleine und große Papphäuser, in die man ein Licht hineinstellen konnte und als Dekoration für die Eisenbahn verwenden konnte. Die Mädchen planten schon die Ausstattung für ihre Puppenstuben: Küche, Wohnstube, Bad und Schlafzimmer. Ja, so wurden aus kleinen Kindern schon Bauherren, Innenarchitekten, LPG-Bauern und Eisenbahningenieure gemacht. Inzwischen war die Mutter fertig mit ihrem Einkauf und kam mich abholen, aber ich konnte mich nur schwer trennen. Aber sie wusste das schon und hatte vorsichtshalber ein Lockmittel dabei, einen kleinen Goldrauschengel zum Umhängen oder einen Schokoladenweihnachtsmann.
Ach du meine Güte, was hatte sie nicht alles eingekauft, jede Menge Taschen, Schachteln und Tüten. Wie wir das alles nach Hause bekommen haben, weiß ich nicht mehr.